der verrat.
unsere meinung, dass wir das andere kennen, ist das ende der liebe, jedesmal, aber ursache und wirkung liegen vielleicht anders, als wir anzunehmen versucht sind - nicht weil wir das andere kennen, geht unsere liebe zu ende, sondern umgekehrt: weil unsere liebe zu ende geht, weil ihre kraft sich erschöpft hat, darum ist der mensch fertig für uns. er muß es sein. wir können nicht mehr! wir kündigen ihm die bereitschaft, auf weitere verwandlungen einzugehen. wir verweigern ihm den anspruch alles lebendigen, das unfaßbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser verhältnis nicht mehr lebendig sei. „du bist nicht“, sagt der enttäuschte oder die enttäuschte, „wofür ich dich gehalten habe?“. und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein geheimnis, das der mensch ja immerhin ist, ein erregendes rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. man macht sich ein bildnis. das ist das lieblose, der verrat.
[max frisch - tagebuch 1946-1949]




mayhem am 02.Mai 11  |  Permalink
sehr, sehr tolles zitat.

nowhere girl am 07.Mai 11  |  Permalink
vielen lieben dank.

vor allem, weil ich denke, dass max frisch einer der autoren war, die's echt begriffen haben.

und der text.
dieses "du bist nicht der, für den ich dich gehalten habe?", das ist einfach so alltägllich.
und somit schade eigentlich.