artengrenze.
der zoologische garten berlin beherbergt die größte anzahl unterschiedlicher spezies aller zoos der welt, ungefähr 1400 arten. er wurde 1844 eröffnet und war der erste zoo deutschlands - die ersten tiere waren geschenke aus der menagerie friedrich wilhelms IV. -, und mit 2.6 millionen besuchern im jahr ist er der bestbesuchte zoo europas. die alliierten luftangriffe 1942 zerstörten fast die gesamte infrastruktus, nur 91 tiere überlebten. (erstaunlich, dass in einer stadt, in der die menschen für brennholz parks abgeholzt haben, überhaupt tiere überlebte.) heute gibt es dort etwa 15 000 tiere. aber die meisten leute wollen nur eines sehen.
knut, seit 30 jahren der erste eisbär, der in dem zoo geboren wurde, kam am 5. dezember 2006 zu welt. seine mutter tosca, eine 20 jahre alte ausgediente zirkusbärin, nahm ihn nicht an, und sein zwillingsbruder starb vier tage später. das ist ein vielversprechender anfang für einen schlechten fernsehfilm, aber nicht für ein leben. der kleine knut hat die ersten 44 tage seines lebens im inkubator verbracht. sein pfleger thomas dörflein schlief im zoo, um ihn rund um die uhr versorgen zu können. dörflein gab knut alle zwei stunden die flasche, spielte ihm das schlaflied "devil in disguise" von elvis auf der gitarre vor und war von oben bis unten voller kratzwunden und blauer flecken vom herumtoben. knut wog bei seiner geburt 810 gramm, aber als ich ihn gesehen habe, etwa drei monate später, war er bereits ungefähr zehnmal so schwer. wenn alles gut geht, wird er eines tages 200- mal so schwer sein.
zu sagen, dass berlin in knut verliebt gewesen sei, wäre eine absolute untertreibung. bürgermeister klaus wowereit schaute jeden morgen in den nachrichten nach neuen bilder von knut. das berliner eishockeyteam, die eisbären, fragten im zoo, ob sie ihn als maskottchen adoptieren könnten. zahllose blogs - darunter eines beim tagesspiegel, einer der größten zeitungen berlins - beschäftigten sich mit knuts tagesablauf. er hatte seinen eigenen podcast und eine webcam. er ersetzte in einigen tageszeitungen sogar das oben-ohne-model.
zu knuts erstem auftritt in der öffentlichkeit erschienen 400 journalisten, weitaus mehr als zum eu-gipfel, der gleichzeitig stattfand. es gab knut-krawatten, knut-rucksäcke, knut-teller, knut-schlafanzüge, knut-figürchen und wahrscheinlich, wobei ich das nicht überprüft habe, knut-unterhosen. knut hat einen paten, sigmar gabriel, dem damaligen deutschen umweltminister. knuts beliebtheit wear sogar schuld am tod eines anderen zootiers, des pandas yan yan. tierpfleger nehmen an, dass die 30 000 besucher, die in den zoo drängten, um knut zu sehen, zu viel für yan yan waren - das hat sie entweder zu tode aufgeregt oder zu tode deprimiert (das war mir nicht ganz klar). und wo ich grade beim tod bin: als ein tierschützer die frage stellte - rein hypothetisch, wie er später betonte -, ob es nicht besser sei, ein tier einzuschläfern, als es unter solchen bedingungen großzuziehen, gingen schulkinder auf die straße und skandierten: "lasst knut leben!" fußballfans grölten für knut statt für ihre mannschaft.
wenn man knut besucht und hunger bekommt, gibt es ein paar meter neben seinem gehege eine bude, die "knutwurst" verkauft. sie besteht aus dem fleisch von schweinen aus massentierhaltung, die mindestens so intelligent sind wie knut und unsere aufmerksamkeit genauso verdient haben wie er. das ist die artengrenze.
[jonathan safran foer - tiere essen]




nowhere girl am 25.Apr 11  |  Permalink
fairness?
jetzt stellt sich mir schlicht und einfach die frage:
wieso?
warum ist es okay, schweine zu essen, aber in vielen ländern sogar verboten, sich einen hund einzuverleiben?
wo liegt der unterschied?
wenn man sich eingängig mit dem thema beschäftigt, wird man erkennen, dass menschen verdammte heuchler sind.
und, dass sich die meisten diese frage nicht stellen wollen, weil ihnen bewusst ist, dass, wenn sie sich über solche dinge informieren, die einzig logische konsequenz wäre, vegetarisch bzw. vegan zu leben.
und das ist den meisten schlichtweg einfach zu viel aufwand.
und das ist das eigentlich traurige.